Genetische Diskriminierung in Deutschland
Eine Untersuchung zu Erfahrungen von Benachteiligung und Andersbehandlung aufgrund genetischer Krankheitsrisiken
Im Verlauf der letzten zwanzig Jahre haben Studien aus den USA, Großbritannien und Australien gezeigt, dass das stetig wachsende genetische Wissen zu neuen Formen von Benachteiligung, Stigmatisierung und Ausschließung führen kann. Im Zuge dessen wurde der Begriff „genetische Diskriminierung“ geprägt, der die Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund vermuteter oder tatsächlich vorhandener genetischer Merkmale bezeichnet. Die vorliegenden Studien haben Benachteiligungen und Andersbehandlungen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen nachgewiesen, etwa bei Arbeitsverhältnissen, bei Versicherungen oder im Rahmen von Adoptionsverfahren.
Es ist jedoch unklar, wie häufig auch Menschen in Deutschland solche und andere Ungleichbehandlungen und Benachteiligungen erfahren, da bislang keine systematische Untersuchung zu dieser Thematik vorliegt.
Diese Forschungslücke wurde nun mit dieser umfassenden empirischen Studie geschlossen. Ziel war es, Erfahrungen von Menschen zusammenzutragen, die aufgrund einer (vermuteten) Veranlagung für eine genetisch bedingte Erkrankung diskriminiert wurden. Im Mittelpunkt stehen dabei folgende Fragen: Gibt es Hinweise auf Benachteiligungen und Ausgrenzungen aufgrund genetischer Merkmale? Welche Formen der Andersbehandlung gibt es? In welchen Bereichen erfolgen Benachteiligungen und Ausgrenzungen und wie gehen Betroffene damit um? Untersuchungsdesign Die Untersuchung geht von der Annahme aus, dass prinzipiell vier Personengruppen von Praktiken genetischer Diskriminierung betroffen sind:
1. Personen, für die ein auffälliges Untersuchungsergebnis für eine autosomal-dominante Erkrankung vorliegt, an der sie mit hoher Wahrscheinlichkeit erkranken werden;
2.Personen mit vollkommen behandelbaren genetischen Krankheiten;
3. heterozygote „Träger“von rezessiven Merkmalen, die nicht bei ihnen selbst, aber möglicherweise bei ihren Kindern zur Erkrankung führen.
Wir haben vier Krankheiten exemplarisch ausgewählt, die unterschiedliche Vererbungswege, Symptomatiken und genetische Charakteristika und die damit einhergehenden Krankheitserfahrungen repräsentieren:
1. Familiäre Adenomatöse Polyposis (FAP)
2. Familiärer Brust- und Eierstockkrebs (BRCA1 / BRCA2)
3. Eisenspeicherkrankheit (hereditäre Hämochromatose, HH)
4. Cystische Fibrose (CF / Mukoviszidose).
Das Projekt zielt darauf, die Auswirkungen genetischer Diskriminierung auf Individuen und ihre Familien sichtbar zu machen sowie zu beschreiben, wie die Betroffenen das Risiko einer genetischen Diskriminierung zu minimieren und zu bewältigen versuchen. In der ersten Projektphase fand eine fragebogenbasierte Umfrage bei einschlägigen Selbsthilfegruppen und ausgewählten genetischen Beratungsstellen statt, die einen Einblick in die Verbreitung, die Formen und Dimensionen genetischer Diskriminierung ermöglichte. Darauf aufbauend wurden in der zweiten Projektphase 60 leitfadengestützte Interviews durchgeführt, die Auskunft über Erfahrungen und Umgangsweisen mit Praktiken genetischer Diskriminierung gaben. Zur Vertiefung, Erweiterung und Fundierung der gesammelten Informationen sind in der dritten Projektphase für jede der oben genannten Krankheiten drei bis fünf Interviews mit Familienmitgliedern, Arbeitgebern oder Vertretern von Versicherungsunternehmen geplant.
Das Forschungsprojekt ist ein Verbundprojekt des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt und der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften der Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg. Es wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Förderschwerpunkts „Ethische, rechtliche und soziale Aspekte der modernen Lebenswissenschaften und der Biotechnologie“ mit dem Förderkennzeichen 01GP1009B gefördert.
www.genetischediskriminierung.de/projekt.html
Dauer: 2010-2014
Projektleitung: Prof. Dr. Katharina Liebsch, Dr. Bettina Hoeltje, Tabea Eißing, Soz. (M.A.) Gesundheitswiss. (M.Sc.), Dipl. Soz. Maya Uygun
Drittmittelgeber: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)